Ole von Uexkull (right) and Adam

Jede Auszeichnung ist politisch

News 30.08.2023

Bald werden die diesjährigen Right Livelihood-Preisträger*innen verkündet. Right Livelihood-Direktor Ole von Uexküll ist seit über 20 Jahren bei den Jury-Sitzungen dabei und gibt uns einen Einblick in den – nicht immer einfachen – Auswahlprozess.

Right Livelihood: Du hast bei Right Livelihood zunächst Recherchearbeit gemacht – viele Jahre hast du nominierte Projekte und Personen vor Ort besucht und Berichte geschrieben. Dann wurdest du stimmberechtigtes Jury-Mitglied. Nach jeder Jury-Entscheidung tauschst du dich auch eng mit dem Kommunikations-Team darüber aus, wie Right Livelihood die Arbeit der Preisträger*innen am besten vermitteln kann. Man kann sagen: Du bringst viele Perspektive an den Entscheidungstisch.

Ole von Uexkull: Das stimmt. Und seit letztem Jahr bin ich kein stimmberechtigtes Mitglied mehr, sondern ich leite das Treffen, ohne eigene Stimme, was für mich ein großartiger neuer Schritt ist. Er hat wirklich meine Perspektive verändert. Ich muss mich nicht mehr für Kandidat*innen entscheiden. Stattdessen besteht meine Aufgabe darin, den Austausch zwischen diesen brillanten Köpfen, die wir am Jury-Tisch haben, zu moderieren. Ich kann ihren Überlegungen nun viel freier folgen, weil ich selbst nicht mitentscheiden muss. Da ich den Auswahlprozess schon so oft mitgemacht habe, weiß ich, wo die Fallstricke liegen. Es ist definitiv ein intensiver, herausfordernder Prozess. Denn unsere Entscheidungen gelten nicht für einen Herbst, sondern für das ganze Leben.

Unsere Jurymitglieder arbeiten ehrenamtlich und bringen wertvolle Perspektiven aus ihren Lebens- und Arbeitszusammenhängen mit. Mein Job ist es, dabei das „bigger picture“ für Right Livelihood im Blick zu haben und zu berichten, wie sich der Award auf die Arbeit unserer Preisträger*innen aus den Vorjahren ausgewirkt hat. Da wir nur vier Preisträger*innen pro Jahr auswählen können, ist es unser Ziel, mit jedem einzelnen Preis den größtmöglichen Impact zu erzielen.

RL: Was meinst du mit größtmöglichem Impact?

OU: Zunächst einmal kann echter Wandel nur funktionieren, wenn er sich auch mit Dynamiken von Macht, Kontrolle, Geld, Legitimität und Einfluss auseinandersetzt. Bei manchen Initiativen fehlt mir noch eine Reflexion hierüber. Ich halte es für essenziell, anzuerkennen, dass wir in einer äußerst ungerechten Welt leben, was die Verteilung von Macht und Ressourcen betrifft. Und weil wir wissen, dass die Welt nicht unendlich wachsen kann, müssen wir uns mit der Verteilungsfrage beschäftigen. Wenn wir die Nominierungen analysieren, schauen wir uns an: Verändern sie in irgendeiner Weise etwas an der Machtdynamik?

Zweitens geht es darum, ob und wie die Nominierten es schaffen, ihr Umfeld dazu zu bewegen, bestimmte gesellschaftliche Maximen infrage zu stellen und neu zu denken. Wem es gelingt, grundlegende, oft unterbewusste Paradigmen zu ändern, hat die größte gesellschaftliche Wirkung. Der dritte Aspekt betrifft die Bedeutung kluger strategischer Ansätze. Wenn man etwas bewegen will und nur begrenzte Mittel zur Verfügung hat, ist es sehr wichtig, gute Methoden und Strategien zu haben. Welche Erfahrungen und Rezepte bringen die Nominierten mit, was können andere von ihnen lernen? Und ist es auch Teil ihrer Strategie, dieses Wissen zu teilen?

RL: Könnten wir anhand der Antworten auf diese Fragen verstehen, was alle Preisträger*innen gemeinsam haben?

OU: Unsere Preisträger*innen sind so unterschiedlich wie die Probleme der Welt. Aber sie eint in der Tat einiges: beispielsweise eben die Überzeugung, dass nachhaltiger Wandel nur dann gelingen kann, wenn bestehende Machtverhältnisse hinterfragt und verändert werden. Das ist eine der schwierigsten Aufgaben überhaupt.

Alle Preisträger*innen glauben daran, dass wir Gesellschaften transformieren können, und zwar nicht auf der Grundlage persönlicher Interessen, sondern auf Grundlage der Freiheit des einzelnen, für das größere Ganze handeln zu können.

Sie alle haben außerdem gemein, dass sie für Themen stehen, die viele Menschen auf der Welt betreffen. Sie stehen für eine größere Bewegung, haben Verbündete und Unterstützer*innen. Uns ist wichtig, dies sichtbar zu machen, und nicht einfach vier Individuen aus ihren Kontexten herauszuheben.

RL: Wenn ich dir so zuhöre, scheint mir, dass Right Livelihood seine politische Rolle inzwischen deutlicher wahrnimmt. Würdest du dem zustimmen?

OU: Ja. Das war auch etwas, das ich erst verstehen musste, auch für mich selbst. Wenn wir uns dem Ende unseres Auswahlprozesses nähern, müssen wir uns damit auseinandersetzen, dass es in der Arbeit für eine bessere Welt nicht so etwas wie objektiv messbare Kriterien für Qualität gibt. Natürlich sind einige Initiativen erfolgreicher, einige Strategien effektiver als andere. Die einen konnten mehr Menschen mobilisieren, andere weniger. Einige haben einen ganz neuen Lösungsansatz oder eine neue Methodik entwickelt. Aber in der letzten Phase der Juryentscheidung haben wir immer noch 20 Personen oder Organisationen, die alle auf ihre Weise einmaliges geleistet haben. Und dann ist es in der Tat eine politische Entscheidung.

Wir glauben an die Kraft politischer Prozesse und dass wir die Menschen, denen wir unseren Preis verleihen, hierbei stärken können. Wir glauben auch an die Arbeit, die nach der Preisverleihung kommt: sie in einem globalen Netzwerk zu verbinden, um effektiv Machtverhältnisse zu verschieben. Es geht uns also darum, dass die Preisträger*innen und ihre Themen an Einfluss gewinnen, an Sichtbarkeit, an Ressourcen. Und das ist absolut politisch, ja, denn damit werden ihre Widersacher ein Stück Macht einbüßen.

RL: Wonach entscheidet die Jury, warum jemand ausgerechnet jetzt ausgezeichnet werden sollte?

OU: Die allermeisten der Nominierten arbeiten schon lange an konkreten Antworten auf drängende Fragen unserer Zeit. Und dann kommt ein Thema hoch, dass viele Menschen bewegt, wie beispielswiese der Krieg in der Ukraine – und nominiert wurde unter anderem Oleksandra Matwijtschuk, die sich in diesem Land seit 10 Jahren für die Dokumentation von Kriegsverbrechen und die Implementierung internationalen Rechts einsetzt. Sie gehörte im vergangenen Jahr zu den Empfänger*innen des Right Livelihood Awards, weil sie beides verband: eine langjährige erfolgreiche Arbeit für Demokratie, und eine wichtige Stimme in einem aktuellen Konflikt. Uns kommt es immer auf eine Ausgewogenheit an Themen, Perspektiven und Regionen an, denn es brennt ja an vielen Stellen gleichzeitig. Und so zeichnen wir immer auch „hidden champions“ aus, über die die Welt dringend mehr erfahren muss.

RL: Das klingt nach einem komplexen Auswahlprozess, der bestimmt auch schwierige Momente hat – Jury-Mitglieder, die ungeduldig oder frustriert sind, weil die von ihnen präferierten Kandidat*innen nicht bei allen ganz oben auf der Liste stehen…

OU: Ja, es gibt in der Tat auch schmerzhafte Momente. Stell dir vor, dass 12 Personen mit jeweils 4 Favorit*innen in den Prozess gehen. Das sind bis zu 48 Kandidat*innen. Und 44 von ihnen werden am Ende nicht prämiert. Viele Jury-Mitglieder werden die Kanditat*innen, die ihnen am meisten am Herzen lagen, nicht in der finalen Runde finden. Deshalb ist es wichtig, dass man sich auch Zeit nimmt, um loszulassen.

Man kann in diesem Prozess so viel lernen! Es sind sehr intensive Gespräche, bei denen man viel zuhören muss. Immer wieder geht es darum, offen dafür zu bleiben, sich von den Einschätzungen und Argumenten anderer überzeugen zu lassen. Wenn jemand beispielsweise sehr schlüssig erläutern kann, warum eine bestimmte Arbeit extrem relevant ist, betrachtet man diese selbst noch einmal mit ganz anderen Augen.

Die meisten von uns haben die Menschen, über die wir sprechen, noch nicht persönlich getroffen. Aber in den Diskussionen werden sie manchen sehr vertraut, weil Jurymitglieder ähnliche Kämpfe, Herausforderungen und Kontexte kennen wie die Nominierten und diese mit an den Tisch bringen.

RL: Du leitest nicht nur die Sitzung, sondern hast noch eine weitere, ganz besondere Aufgabe: Du bist für die Übermittlung der guten Nachrichten an die ausgewählten Preisträger*innen zuständig.

OU: Das erste, was ich nach der Sitzung tue, ist, die Preisträger*innen anzurufen. Das ist immer eine große Freude! Aber es ist auch ziemlich nervenaufreibend. Ich überprüfe die Telefonnummer drei- oder viermal und frage dann erstmal nach ihrem Namen, etwa so: „Hallo, mit wem spreche ich? Wer sind Sie? Können Sie das noch mal wiederholen?” Denn ich habe immer eine wahnsinnige Angst, dass ich einer falschen Person mitteile, dass sie soeben den Right Livelihood Award gewonnen hat.

Aber dann sind es immer so schöne Gespräche; alle wissen, dass sie nominiert sind, und die meisten haben sich schon mit der Arbeit von Right Livelihood beschäftigt. Und es fühlt sich ganz schnell so an, als würden wir uns schon kennen – denn bei all unseren Preisträger*innen nehme ich eine ähnliche, ganz besondere Lebenseinstellung wahr, obwohl oder gerade weil sie mit so herausfordernden Dingen beschäftigt sind.

Fantastisch ist es auch, sie bei der Preisverleihung dann endlich persönlich zu treffen, nachdem wir so viel über sie gelesen und gesprochen haben. Und jedes Mal wieder bestätigt sich: Es sind Menschen wie du und ich, die einen Unterschied machen. Das Wichtigste, das wir von unseren Preisträger*innen lernen können, ist, dass wir nie denken sollten, wir seien machtlos.

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